Unternehmen und Universitäten – Erfolg durch Kooperation?

Unternehmen und Universitäten – Erfolg durch Kooperation? 46. Öffentliche Vortragsveranstaltung der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V.

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V.
Ort
München
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
16.03.2023 -
Von
Sina Bohnen, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte mbH

In ihrer 46. Öffentlichen Vortragsveranstaltung beschäftigte sich die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V. mit dem Spannungsfeld von Kooperationen zwischen Universitäten und Unternehmen und der Frage, ob und inwiefern beide Seiten von einer solchen Zusammenarbeit bis heute profitieren können. Gastgeber war in diesem Jahr die Knorr-Bremse AG in München.

Eröffnet wurde die Veranstaltung von KLAUS REMMLER (München), der die Anwesenden als Konzernpersonalleiter der Knorr Bremse AG im Namen des Gastgebers begrüßte. JULIA SABINE FALKE-IBACH (Düsseldorf), Vorsitzende des Vorstands des GUG e.V., gab in ihrer Begrüßungsrede anschließend einen Überblick über die aktuelle Entwicklung von Kooperationen zwischen Unternehmen und Universitäten und stellte dabei fest, dass solche Partnerschaften bereits seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert würden – auch wenn der Titel der Veranstaltung mit einem Fragezeichen versehen sei. Die Bandbreite dieser Kooperationen reiche heute mitunter von einer Vertrags- oder Verbundforschung über die Weiterbildung von Unternehmensbeschäftigten sowie von der Industrie finanzierten Forschergruppen und Stiftungslehrstühlen bis hin zur Etablierung neuer Organisationen wie etwa Inkubatoren oder Forschungs-Camps. Im Fokus von Partnerschaften in Forschung und Entwicklung stehe generell der interdisziplinäre Wissenstransfer, von dem – im Hinblick auf Innovationen, Zugang zu neuen Märkten und Rekrutierung von Fachpersonal – vor allem Unternehmen profitieren würden. Andererseits ergäben sich auch Vorteile für Universitäten, die durch diese zu neuen Fragestellungen und Impulsen für die Forschung angeregt würden. Auch vor dem Hintergrund stagnierender, öffentlicher Förder- und Finanzierungsgelder würden sich für Hochschulen auf diese Weise alternative Projektfinanzierungen eröffnen. Falke-Ibach machte gleichzeitig darauf aufmerksam, dass derartige Kooperationen zwischen Universitäten und Unternehmen dennoch des Öfteren in der Kritik stünden. Befürchtungen um eine vermeintliche Einflussnahme auf Forschungsergebnisse seien laut Umfragen des Stifterverbands der Deutschen Wissenschaft aber unberechtigt, auch wenn es Einzelfälle gebe, bei denen die wissenschaftliche Freiheit eingeschränkt worden sei. Falke-Ibach plädierte daher für mehr Transparenz, öffentliches Vertrauen und Offenheit in Industrie und Wissenschaft. So habe sich auch die Bundesregierung im Koalitionsvertrag auf eine Förderung der Kooperation von Wissenschaft und Unternehmen in Form einer Agentur für Transfer und Innovation (DATI) geeinigt. Diese solle neue und bestehende Netzwerke nutzen und gesellschaftliche Akteur:innen motivieren, um die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft wie etwa Demografie, Gesundheit, Klima und die Energiewende gemeinsam zu bewältigen.

Stellvertretend für den Wirtschaftshistoriker WERNER PLUMPE (Frankfurt am Main), der zwar nicht anwesend sein konnte, jedoch sein Redemanuskript bereitgestellt hatte, übernahm Wirtschaftshistoriker CHRISTIAN KLEINSCHMIDT (Marburg) den ersten Vortrag. In diesem beschäftigte er sich auf Grundlage von Plumpes Erkenntnissen mit der historischen Perspektive von Universitäten und Unternehmen vor dem Ersten Weltkrieg. Die enge Kooperation mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen heutzutage sei im Vergleich ein junges Phänomen, das erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der sogenannten wissenschaftlich-technischen Revolution und dem zunehmenden Bedarf an Investitions- und Kapitalgütern entstanden sei. Seitdem seien Unternehmen auf die Wissenschaft angewiesen, von der sie im Sinne von Ideen, Produkten, Verfahrensweisen sowie akademischen Fachkräften profitieren würden. Denn spätestens ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seien etwa in den Bereichen der chemischen Industrie, Elektrotechnik und Feinmechanik die Grenzen des sogenannten „Pröbelns“ – die technische Fortentwicklung durch praktische Versuche in Meisterbetrieben des Handwerks – offenkundig geworden. Diese Entwicklung habe nicht nur zu Veränderungen der Unternehmen durch den Einzug akademischen Fachpersonals geführt, sondern sei mit einer Transformation der Naturwissenschaften an den Universitäten einhergegangen, die das Verhältnis zwischen Industrie und naturwissenschaftlichen Instituten mit völlig neuen Forschungsmöglichkeiten gefördert habe. Das Kooperationsinteresse sei vor allem pragmatisch gewesen, denn auch die Professoren seien an der wirtschaftlichen Nutzung ihrer Neuentwicklungen interessiert gewesen, die ohne die Unterstützung der Industrie nicht möglich gewesen wäre. Die Grenzen dieser Kooperationen hätten sich wiederum in den 1880er-Jahren deutlich abgezeichnet. So beleuchtete Plumpe anhand von Beispielen wie Carl Zeiss und Carl Duisburg auch das Spannungsverhältnis zwischen akademischer Autonomie und wirtschaftlichem Interesse. Auch habe sich eine komplexe Kooperations- und Konkurrenzlage entwickelt, in der Unternehmen einerseits um Zugänge zu universitären Ressourcen konkurriert und Universitäten andererseits im Wettbewerb um Kooperationen mit Unternehmen gestanden hätten. So hätten sich hybride Strukturformen konstituiert, die durch den Staat sowie größtenteils durch die Industrie unterstützt worden seien, wie etwa die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute: Max-Planck-Gesellschaft), die sich – nicht nur im Bereich der Chemie – um ideale Forschungsbedingungen für Spitzenforscher im Rahmen des Harnack-Prinzips bemühte. Der Erfolg dieser Kooperationsform habe sich vor 1914 für die deutsche Naturwissenschaft im Erhalt zahlreicher Nobelpreise und internationaler Anerkennung gezeigt; gleichzeitig hätten die Industrieunternehmen den Weltmarkt beherrscht. Im Zuge des Ersten Weltkriegs sei das System der Forschungskooperationen jedoch in eine existenzielle Krise geraten.

Daran chronologisch anknüpfend referierte der Wirtschaftshistoriker STEPHAN H. LINDNER (München) über die Kooperation von Hochschulen und Industrie in Deutschland im 20. Jahrhundert, indem er nochmal bestätigte, dass eine solche Kooperation aufgrund der forschungsintensiven Industrie in den Bereichen Chemie und Elektrotechnik ihren Ursprung im Deutschen Kaiserreich gehabt habe. So habe die Zusammenarbeit bis zum Ersten Weltkrieg floriert, vor allem in Form der bekannten Kaiser-Wilhelm-Institute wie etwa dem Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie unter der Leitung von Fritz Haber, das von der Berliner Auergesellschaft finanziert worden sei. Doch sei die Kooperationsbereitschaft während der Weimarer Republik stark zurückgegangen, so dass der Staat bereits in dieser Zeit zusehends die Finanzierung übernommen habe, die die Industrie infolge von Inflation und wirtschaftlich schlechter Rahmenbedingungen nicht zu leisten vermocht habe. Ferner verdeutlichte Lindner, dass sich die Rolle des Staats als „Finanzier und Partner der Industrie“ während der NS-Zeit weiter verstärkt habe, da der NS-Staat nun vor allem im Rahmen der Rüstungs- und nationalsozialistischen Autarkiewirtschaft klare Vorgaben und Ziele an die Kooperationspartner gerichtet habe. Nach 1945 habe einerseits eine weitere Institutionalisierung in Form der Max-Planck-Institute sowie der Fraunhofer-Institute stattgefunden; gleichzeitig seien auch wieder direkte Kooperationen zwischen Hochschulen und Industrieunternehmen entstanden, deren Nutzen auf Gegenseitigkeit beruht habe. Des Weiteren erläuterte Lindner anhand von Beispielen aus der Historie der ehemaligen I.G. Farbenindustrie AG und deren Vorgänger- und Nachfolgerfirmen sowie des Göttinger Pharmaunternehmens Sartorius vier unterschiedliche Kooperationsformen. Zusammenfassend stellte er fest, dass Kooperationen zwischen der Industrie und Wissenschaft generell nicht ausschließlich auf finanzielle Aspekte reduziert oder als „käufliche Wissenschaft“ denunziert, sondern vielmehr der gegenseitige Gewinn von Kooperationen als „Win-Win-Situation“ gewürdigt werden sollten.

CHRISTIAN MOHR (München), Geschäftsführer der gemeinnützigen UnternehmerTUM GmbH, veranschaulichte anschließend die aktuelle Situation von Kooperationen aus der Sicht eines Praxisexperten. Insbesondere im Hinblick auf die Zukunfts- und Innovationsfähigkeit des familiengeführten Mittelstands Deutschlands forderte er, dass es „überraschende, teilweise ungewöhnliche Kooperationen für die nächste Generation Hidden Champions“ brauche. Demnach müsse die Fähigkeit zu disruptiven Innovationen erhöht werden, um die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen auch in der Zukunft zu garantieren. Zu diesen Innovationen zählten etwa die radikale Veränderung bestehender Märkte und Strukturen durch neue Produkte oder Dienstleistungen sowie die schnelle Anpassung von Entscheidungen. Unternehmen könnten von dieser Disruption in Form von Kollaborationen mit unterschiedlichen Akteur:innen innerhalb eines Ökosystems aus Start-Ups, Politik und Industrie profitieren. Das Ziel sei es, Netzwerke zu nutzen und Innovationen wie beispielsweise nachhaltige, technologische Lösungen zu Treibern des Wachstums zu machen, um in gemeinsamer Zusammenarbeit aller Akteur:innen die globalen, gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, Energiewende und Ressourcenknappheit zu meistern und sich „gegenseitig zu befruchten“. So habe es seitens des Innovations- und Gründungszentrums UnternehmerTUM u.a. bereits eine Vielzahl sogenannter Spin-Offs (Ausgründungen) aus der Wissenschaft gegeben, die aus Kooperationen entstanden seien und die Gründerkultur förderten.

Im Anschluss daran diskutierten die Referenten Linder und Mohr gemeinsam mit Rechtshistoriker LOUIS PAHLOW (Frankfurt am Main) und KLAUS REMMLER, Konzernpersonalleiter der Knorr-Bremse AG, auf dem Podium; als Moderator der Podiumsdiskussion fungierte JOHAN SCHLOEMANN (München), Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Einigkeit bestand darin, dass Kooperationen zwischen Weltmarktführern und Universitäten heute nicht mehr wegzudenken seien, auch hinsichtlich der Rekrutierung von Fachpersonal, insbesondere in Bereichen wie Pharma, Chemie und der Elektrochemie. Zudem wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern Deutschland als Standort für Erfindergeist und Innovationskraft weiterhin attraktiv bleiben könne. Im Hinblick auf Knowhow und qualifizierte Mitarbeiter:innen stehe der deutsche Mittelstand zunehmend im Wettbewerb mit amerikanischen Konzernen wie Google oder Apple, die häufig ausgebildete Talente von deutschen Universitäten abwerben würden. Während im 19. Jahrhundert Verträge für Kooperationen nicht notwendig waren, seien heute – im Gegensatz zu den USA – zu viel Bürokratisierung, Überregulierung sowie das Hochschulrecht als Teil des öffentlichen Rechts oftmals hinderlich für den Erfolg von Kooperationen. Auch wurde der in der Öffentlichkeit oft vorherrschende Generalverdacht, Kooperationen seien „gekaufte Wissenschaft“, hinterfragt und diskutiert. Ziel sei es hier, mehr Transparenz zu schaffen. In Bezug auf Stiftungslehrstühle an Universitäten müsse auch die historische, deutsche Stiftertradition positiver bewertet und damit offener umgegangen werden, so die Forderung. Abschließend stellte sich die Frage, ob Forschung immer angewandt werden müsse und nicht Forschungsinteresse und Neugier primär im Fokus stehen sollten. Denn vor allem Grundlagenforschung, so schlussfolgerte das Podium, müsse nicht grundsätzlich Ertrag bringen.

Konferenzübersicht:

Klaus Remmler (München): Begrüßung

Julia Sabine Falke-Ibach (Düsseldorf): Begrüßung und Einführung

Werner Plumpe (Frankfurt am Main), vorgetragen von Christian Kleinschmidt (Universität Marburg): Universitäten und Unternehmen vor dem Ersten Weltkrieg

Stephan H. Lindner (München): Hochschulforschung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft: Die Kooperation von Hochschulen und Industrie in Deutschland im 20. Jahrhundert

Christian Mohr (München): Es braucht überraschende, teilweise ungewöhnliche Kooperationen für die nächste Generation Hidden Champions

Podiumsdiskussion
Moderation: Johan Schloemann (München)

Stephan H. Lindner (München) / Christian Mohr (München) / Louis Pahlow (Frankfurt am Main) / Klaus Remmler (München)

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